Willkommen auf der vorläufigen Website des Koselleck-Projekts der DFG

Diskussion, von G. Buchberger

Foto: Buchhändler (CC BY-SA 3.0, verändert: SB)

Wie umgehen mit Rassismus, Antisemitismus und Sexismus in Werken der klassischen Deutschen Philosophie?

 Förderung: 2022-2027

Die BlackLivesMatter-Proteste und die politischen Interventionen nach den antisemitischen und rassistischen Anschlägen von Halle und Hanau haben nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der akademischen Philosophie eine erneute Diskussion über die Verstrickungen der eigenen Tradition in Rassismus, Sexismus und Antisemitismus (RSA) provoziert. In vielen Werken der deutschen Philosophie finden sich Stellen, Passagen oder Abhandlungen, die - mindestens nach heutigen Maßstäben - als rsa beurteilt werden müssen. Sich mit diesem Erbe verantwortlich und differenziert auseinanderzusetzen, stellt die akademische Lehre und Forschung gegenwärtig durchaus vor Herausforderungen: Sollen diese Texte weiterhin gelehrt und in der Forschung rezipiert werden oder muss man sie z.B. aus Curricula und Canones streichen? Versteht es sich von selbst, die jeweiligen problematischen Stellen als rsa zu identifizieren oder bedarf es dazu nicht einer umfassenden, auch historischen Kontextualisierung? Welches Verständnis von RSA wird bei der Beurteilung in Anspruch genommen und nicht zuletzt: In welcher Weise ist auch noch unser gegenwärtiges Philosophieren und unsere akademische Praxis von rsa Ideologien der eigenen Tradition geprägt? Kurz:

Wie sollen wir in Lehre und Forschung umgehen mit Rassismus, Antisemitismus und Sexismus in Werken der klassischen deutschen Philosophie?

Die aktuelle politische Diskussion in der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Philosophie neigt gegenwärtig dazu, das Thema RSA personenzentriert (unter der Fragestellung: War x ein Rassist, Sexist, Antisemit ….?) zu vollziehen und die historische sowie politische Dimension auszublenden. Entsprechend kann es dann so scheinen, als stünden wir außerhalb der rsa-Tradition und könnten aus der Position von Richter:innen über Personen oder Epochen urteilen. In der Folge neigt die aktuelle Debatte dazu, sich in apologetische bzw. fundamentalkritische Positionen zu spalten und steht ein abschließendes, subsumtives Urteil an.

Das soeben gestartete Projekt setzt sich demgegenüber zum Ziel, die begonnene (selbst-)kritische Auseinandersetzung der Philosophie mit RSA in der eigenen Tradition, in etablierten akademischen Praxen und gegebenenfalls auch zentralen Begriffen, auch mit den Mitteln und Methoden der Philosophie, differenziert und abgewogen fortzusetzen und innerhalb des Fachs auf Dauer zu stellen.

Auf der Grundlage einer Konzeption politisch reflektierender Urteilskraft widmet sich die Arbeitsgruppe vier verschiedenen Aufgabenfeldern:

1. (Selbst-)kritische Philosophiegeschichte

In exemplarischen Analysen der Rezeption des Deutschen Idealismus durch nationalistische Denker soll ein Beitrag zu einer selbstkritischen Philosophiegeschichtsschreibung geleistet werden. Dabei werden sowohl die lokalen Verstrickungen der Philosophie - insbesondere der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und mit dem Nationalsozialismus - in den Blick genommen als auch danach gefragt, wie die historischen Verwicklungen unser gegenwärtiges Philosophieren und die Philosophiegeschichtsschreibung inhaltlich prägen.

2. Kommentierte Textsammlungen und Material für Lehre und Forschung

Die in die Kritik geratenen Texte und Quellen sollen in einem Korpus gesichert und in Form einer Datenbank als Serviceleistung für Lehre, Wissenschaft und Öffentlichkeit digital zur Verfügung gestellt. Diese Sammlung wird begleitet von Interpretationsvarianten sowie exemplarischen philosophischen Argumentationsanalysen und stellt Übersichten zum jeweiligen Forschungsstand bereit.

In interdisziplinärer Zusammenarbeit sollen auf dieser Grundlage Materialien und Konzeptionen für die universitäre Lehre und den Schulunterricht erarbeitet werden, die auf der Projekthomepage verfügbar gemacht werden.

3. Experimentelle und kreative Formen der Vermittlung

Um auch bezüglich etablierter Denk- und Praxisformen des Philosophierens ein angemessenes Problembewusstsein zu entwickeln und sie gegebenenfalls einer Kritik zu unterziehen, werden von Beginn an neue und kreative Formate der (Selbst-)Aufklärung und Vermittlung erprobt. In ihnen soll die kritische (Selbst-)Reflexion durch Irritationserlebnisse, Verschiebung gewohnter Codierungen etc. Angeregt und neue Perspektiven erfahrbar werden.

4. „Public Philosophy“ im Dialog

Im Rahmen des Projekts soll ein methodisch reflektiertes, differenziertes, insbesondere aber auf einen Dialog mit (und nicht auf eine Belehrung) der Öffentlichkeit angelegtes Konzept von Public Philosophy ausgearbeitet und von Beginn an in der Praxis zu erprobt werden. Die Philosophie wird darin als ein Teil der Öffentlichkeit verstanden, die ihrerseits auch als eine Korrekturinstanz für den philosophischen Erkenntnisprozess fungieren kann.

Ein lokaler Fokus liegt auf Jena als geistigem Zentrum des Deutschen Idealismus im Anschluss an die Philosophie Immanuel Kants um 1800. Bis heute gibt es in an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena eine lebendige Beschäftigung mit der Philosophie des deutschen Idealismus, deren Vertreter auch im Stadtbild durch Büsten, Häuserplaketten und Straßennamen präsent sind. Auch lokale politische Initiativen befassen sich Fragen mit der Verstrickung dieser Philosophietradition mit RSA – auch mit ihnen und der Jenaer Öffentlichkeit möchten wir in ein Gespräch treten.